Betrachtet man Giottos Darstellung des Heiligen Franziskus wie er den Teufel aus der Stadt Arezzo vertreibt (Beitragsbild, 1295, Dom von Assisi), kann man sich kaum vorstellen, dass dies eine revolutionäre Neuerung in der mittelalterlichen Malerei war. Dafür muss man einen Schritt zurückgehen und sich ansehen, was zuvor üblich war.
Die Washingtoner Madonna von Giotto di Bondone (1267-1337) zeigt sowohl neue Tendenzen als auch traditionelle Elemente wie den Goldgrund, der über Jahrhunderte in der Malerei regelrecht vorgeschrieben war. Zu den Vorgaben gehörte auch, dass die Muttergottes normalerweise im blauen Mantel dargestellt wurde. Entsprechend galt die Farbe Blau über Jahrhunderte als typisch weiblich.
Giotto reizt diese Vorgabe aus stilistischen Gründen aus. Dass der Mantel dunkelgrün ist und lediglich einen Hauch von einem dunklem Blau hat, ermöglicht ihm belebende farbliche Kontraste. Das kontrastierende Orange rund um das blaße Antlitz Mariens verleiht der Figur Frische, ganz so als hätte sie Rouge aufgelegt. Durch die Farbkontraste wirkt die gesamte Darstellung lebendiger, menschlicher und in der Folge auch zugänglicher. So bildet bildet das Mantelfutter in kaltem, hellen Grün einen weiteren belebenden Gegensatz zum dunklen und warmen Blaugrün. Belebend wirken auch die Helligkeiten und Linien, die sich durchs Bild ziehen, da das Auge ihnen folgt.
Giotto war zwar nicht der einzige Künstler, der auf eine neue Weise zu malen begann, aber einer der bekanntesten, schon zu Lebzeiten. Die althergebrachten Bildtafeln in der „maniera greca“, im griechischen Stil mit ihrem flachen Goldgrund und die über Jahrhunderte genau vorgeschriebenen Darstellungsweisen hatten Andachtsbilder, Symbole des Glaubens zum Ziel.
Erst zu Beginn von Giottos Karriere änderte sich das und es kamen Darstellungen mit lebendigen, menschlichen Figuren auf. Wie so oft waren diese Veränderungen in der Kunst Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen. Es sind vor allen Dingen neue Strömungen in der das damalige Leben so intensiv prägenden Religion. Die Spaltung der Kirche in die griechische Orthodoxie mit Konstantinopel (früher Byzanz, heute Istanbul) und die katholische Christenheit mit dem Vatikan in Rom als Zentrum war schon 1054 erfolgt. Es folgten weitere nachhaltige Veränderungen. Zu den zahlreichen Wanderpredigern des folgenden Jahrhunderts gehörte der Heilige Franz von Assisi (1181-1226). Als Gründer des Franziskanerordens erhielt er päpstliche Anerkennung und wurde später heilig gesprochen. Zu Beginn von Giottos Karriere war der monumentale Bau der Ordenskirche, der Dom zu Assisi, eine Großbaustelle auf der sich die besten Künstler der Epoche trafen. Das beschleunigte die malerische Entwicklung.
Eine der zahlreichen und wichtigen Neuerungen, die sich an Giottos Werken erkennen lässt, ist seine Darstellung der Gewänder. Sie sind regelrecht farblich modelliert. Schatten entstehen bei ihm nicht mehr, wie zuvor oftmals üblich, aus nachträglich aufgesetzten schwarzen Schraffuren. Diese Hilfslinien waren genutzt worden, weil die üblichen Temperafarben eher spröde waren und untereinander schwer zu mischen.
Giottos Gewänder, sein Spiel mit Licht und Schatten, seine farblichen Modulationen machen die Figuren lebendig. Sogar die Washingtoner Madonna hat unter ihrem Mantel einen Körper. Giottos Gemälde ist keine flache Ikone mehr.
Lange verhinderte der althergebrachte Goldgrund der Ikonen ein Gefühl für einen bekannten Raum im Bild. In Giottos Werk lässt sich auch eine Veränderung nachverfolgen. In seinen Darstellungen setzt er oftmals für den Hintergrund eine einfarbige Fläche ein. Ein dunkles Blau oder ein Schwarz erzeugen Tiefe hinter der Figur.
Er beginnt auch, seine Bildfiguren in einen perspektivisch konstruierten Raum zu stellen, sei es eine Landschaft oder eine Architektur. Das passt zu einem Mann, der zu seinem Lebensende am Bau des Glockenturms am Florentiner Dom beteiligt war.
Dass die Darstellungen des Lebens Christi oder der Heiligen lebendig wirken sollten, war durchaus im Sinn der katholischen Kirche. Zur damaligen Zeit konnten nur wenige Menschen lesen. Der Glaube ans Jenseits aber sollte das Leben der Menschen weiter bestimmen.
Bilder und die in ihnen erzählten Geschichten waren eine Möglichkeit, den ungebildeten Gläubigen das Leben Christi, die Legenden der Heiligen und die Botschaft der Bibel auf verständliche Weise nahe zu bringen. Man nannte sie auch die Bibel der Armen. Bis zum heutigen Tag hat uns das, gerade in Assisi, wunderschöne Bilder hinterlassen, regelrechte mittelalterliche Comics.
Bei Giotto sind diese Geschichten und die dargestellten Figuren besonders lebendig. Das liegt nicht nur daran, dass man sie sich als Körper vorstellen kann. Hinzu kommen Anekdoten, die uns der Meister des Mittelalters in seinen Bildern bis heute erzählt. Bei ihm erstarren die Engel nicht in Anbetung. Sie tuscheln oder pusten sich den Weihrauch aus dem Gesicht. Ausgerechnet beim letzten Abendmahl, an der Tafel mit Christus, lehrt einer seiner Jünger mit sichtlichem Genuss sein Weinglas. Heilige sind während einer Grablegung von einem Text abgelenkt, während den Ministranten der Schrecken im Gesicht steht. In diesen Bildern gibt es eine ganze Reihe von Geschichten zu entdecken. Für manche ist dies das Schönste an Giottos Werken.