Auf das vom Glauben an das Jenseits geprägte Mittelalter folgte die Epoche der Renaissance, wörtlich eine Ära der Wiedergeburt. Das Denken und Handeln der Menschen war nun etwas weniger auf das Jenseits ausgerichtet und vom Wunsch nach einem Leben im Paradies nach dem Tod auf Erden bestimmt. Die Vorstellung spielte zwar noch eine Rolle, doch man begann mehr im Jetzt zu denken und zu handeln. Gleichzeitig wurden die Erkenntnisse aus der heidnischen Antike wiederbelebt. Dazu gehörte das Interesse am Wissen über Mensch und Medizin ebenso wie über Architektur und Malerei.
Ein reger Austausch mit anderen Völkern kam hinzu, über die Handelsrouten des Mittelmeers. Waren die Künstler bis dahin weitgehend als meisterhafte Handwerker betrachtet worden, welche klaren Regeln zu folgen hatten, so begannen sie sich in der Renaissance regelrecht zu emanzipieren. Sie sahen sich zunehmend selbstbewusst als freie Erschaffer, als Schöpfer eigener Werke. Dazu kamen eigene Forschungen. Es ging darum, die Gesetze der Natur ebenso zu verstehen, wie die Anatomie des Menschen. Vieles war allerdings offiziell aus Sicht der Kirche noch verboten.
In der Malerei spielten, neben der Erforschung der perspektivischen Darstellung, auch die Farben eine neue Rolle. Nun ging es nicht mehr darum, Heilige und Madonnen nach den überlieferten Vorgaben darzustellen. Man entdeckte, dass Farben mehr bewirken können als Bilder durch Buntheit zu kolorieren.
Als einen markanten Wendepunkt kann man hierzu Michelangelos Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle (1508-12) heranziehen. Michelangelo Buonarotti (1475-1564) hatte zunächst Bekanntheit für seine meisterhaften Skulpturen erlangt. Hierzu gehören insbesondere die Pietà (St. Peter Rom, 1499) und der David (1504, Florenz).
Doch auch in der Malerei bewies er sein Talent eindrücklich. Schon vor der Gestaltung der Sixtinischen Kapelle im Vatikan hatte er wichtige Aufträge erhalten. Es heißt, den Auftrag für die Deckenbemalung habe er erhalten, weil ihn seine Konkurrenten scheitern sehen wollten. Denn die Kapelle ist einundzwanzig Meter hoch und aus dieser Höhe Bilder noch zur Wirkung zu bringen ist nun wirklich nicht einfach. Michelangelo bediente sich hierfür der Intensivierungseffekte von Farben, die wir gleichzeitig (simultan) wahrnehmen. Denn liegen diese Farben geschickt zwischen ähnlich und gegensätzlich, dann sehen wir sie auf größere Entfernungen. Denn für unsere Augen leuchten sie regelrecht stärker.
Disee farbverstärkende Wirkung setzt voraus, dass die Farbflächen in direkter Konkurrenz zueinander stehen. Das ist dann der Fall, wenn sie sich in der Helligkeit nur wenig unterscheiden. Die angrenzenden Felder haben zudem im oben gezeigten Gemälde von Michelangelo immer einen gemeinsamen farblichen Nenner. Beispielsweise enthält Orange sowohl Gelb wie Rot. Gleichzeitig bewegen sich die Nachbarfarben im Spannungsfeld zwischen den drei Grundfarben der Malerei Gelb, Rot und Blau. Dieses Spiel zwischen Kontrast und Harmonie zwischen den Farben ermöglichte es Michelangelo ein Deckengemälde mit Fernwirkung auf Basis der geschickten Farbwahl zu gestalten.
Vielleicht ist das Wissen zu den Wirkungen der farblichen Kontraste in der Malerei durch Albrecht Dürers (1471-1528) Reisen nach Italien in den Kulturraum nördlich der Alpen gelangt. Genauso gut ist es aber auch möglich, dass sich der in Nürnberg ansäßige Künstler selbst mit den Farbwirkungen auseinandergesetzt hat. Die monumentalen Tafeln der Apostel (1526) zeigen wie gekonnt er die Kontrast einsetzen konnte und haben eine gewisse Ähnlichkeit zu den Werken von Giovanni Bellini (1430-1516) in Venedig. In der Abbildung ist die linke Tafel mit Johannes und Petrus zu sehen.
Eine eigenständige Farbwahl bedeute auch ein Bruch mit althergebrachten Farbtraditionen. Bei Dürer hat diese Farbwahl allerdings noch eine weitere Aussage. Die Vier Apostel werden gleichzeitig im Sinne der Vier Temperamente farblich unterschiedlich dargestellt. Und so erscheint Johannes im Vordergrund als Sanguiniker im roten Gewand.
Während uns Rosa heute als die Mädchenfarbe schlechthin erscheint, war es wie Rot traditionell lange eine typisch männliche Farbe. Abgeleitet wurde dies von Mars, dem Gott des Krieges. Michelangelos Darstellung von Gott Vater im rosa Gewand ist also nicht ungewöhnlich. Dass er ihn von hinten zeigt allerdings schon.